Der erste bekannte Geesthachter – ein Ritter aus dem Nahen Osten? | Aktuelle Nachrichten und Informationen

Heute verwahrt das Stadtarchiv rund 400 Meter Akten, Bücher, Fotos und Plakate, die die Geschichte unserer Stadt lebendig halten. Ab jetzt stellen wir einmal im Monat ein besonderes Stück aus dem Stadtarchiv vor – ein Dokument, ein Foto, ein Plakat oder eine Geschichte, die unsere Stadt geprägt hat.

Der erste bekannte Geesthachter – ein Ritter aus dem Nahen Osten?

Wer war die erste mit Namen überlieferte Person aus Geesthacht? Die Antwort auf diese Frage stellt die mittelalterliche Geschichte des Ortes, der damals noch Hachede hieß, in ein neues Licht.

Die Frage führt uns in die fremde Welt mittelalterlicher Urkunden. Der erste Personenname findet sich auf einer noch in Latein abgefassten Urkunde eines Ratzeburger Bischofs, von der nur noch eine mittelalterliche Abschrift existiert. Diese Urkunde entstand um das Jahr 1230 und regelte die Versorgung zweier wohl adliger Frauen, die sich als Nonnen von der Bergedorfer Kirche hatten aufnehmen lassen. Geesthachter findet sich in der Reihe der Zeugen am Ende der Urkunde, die für die Rechtmäßigkeit des Dokuments einstanden: Nach den Zeugen aus geistlichem Stand folgten mit den letzten vier Personen adlige Grundherren aus der Region. Sie werden zum Schluss als „milites“ (Ritter) bezeichnet. Unter ihnen stand gleich an zweiter Stelle ein Mann, der je nach Lesart „Zozelinus“ oder „Jozelinus de Hachede“ hieß (= J. von/aus Hachede).

Bislang ging die Ortsgeschichte davon aus, dass Geesthacht von adliger Herrschaft immer frei gewesen sei. Wir haben hier aber einen lokalen Adligen vor uns, der um 1230 in Geesthacht saß und über den Ort geherrscht haben muss. Der Zusatz „de Hachede“ dürfte bereits als adliger, aus dem Stammsitz abgeleiteter Familienname zu lesen sein. Wo aber befand sich dieser Rittersitz? Magnus Prüß erwähnt in seinem Heimatbuch aus dem Jahr 1929 eine heute verschwundene Burg am Schäferberg, also auf der Erhebung oberhalb der heutigen Zentralen Sportanlage. Für diese Burg ist kein Besitzer bekannt, für die Kontrolle über Ort und Landstraße war ihre Lage jedenfalls perfekt.

Ungewöhnlich ist der Name des Ritters: Zozelinus hieß und heißt kein Mensch. Auch andere vorgeschlagene Lesarten wie Dodelinus scheiden aus. Jozelinus dagegen war im Mittelalter verbreitet. Es ist die lateinisierte Form des altfranzösischen männlichen Vornamens „Joscelin“, der mit den Normannen auch nach England gelangte. Joscelin von Hachede mag als wichtiger Urkundenzeuge um 1230 bereits ein reiferes Alter erlangt haben, dürfte demnach um 1190/1200 geboren worden sein. Damals kam man zu seinem Namen zumeist durch Familientradition oder durch die Taufpaten. Aber wie kam ein französischer Vorname um 1200 an die Elbe? Direkte Beziehungen nach Frankreich gab es kaum.

Aber es war zugleich die Zeit der ersten gemeinsamen europäischen Expansion nach Übersee, die Zeit der Kreuzzüge: Sie waren von Beginn an vom franko-normannischen Adel geprägt. Hier begegnet uns der Name Joscelin an prominenter Stelle: Das französische Adelsgeschlecht Courtenay stellte unter anderem über drei Generationen, von 1118 bis 1200, die Grafen beziehungsweise Titulargrafen von Edessa, einem der Kreuzfahrerstaaten: Sie alle hießen Joscelin (I.-III.).

Am Dritten Kreuzzug (1189-1192) waren unter Kaiser Barbarossa dann auch viele Norddeutsche beteiligt und am sogenannten „Deutschen Kreuzzug“ 1197/1198 nahmen wiederum unter anderem hunderte von Kreuzfahrern aus dem Lübecker Raum teil. Denkbar also, dass unser „Jozelinus“ im Heiligen Land als Sohn eines dieser Kreuzfahrer geboren wurde, und seinen exotischen Vornamen einem französischen oder normannischen Taufpaten verdankte. Oder vielleicht war seine Mutter von entsprechender Herkunft und führte im Namen ihres Sohnes ihre Familientraditionen fort. Irgendwann später muss dann Joscelin nach Geesthacht, dem mutmaßlichen väterlichen Heimatort, zurückgekehrt sein.

Wir wissen sonst nichts über ihn. Klar ist nur, dass die Ortsherrschaft seiner Familie spätestens nach 1300 endete. Denn zu jenem Zeitpunkt befand sich Hachede bereits im unmittelbaren Besitz der lauenburgischen Herzöge. Vielleicht ist unser Joscelin verwandt mit den nach 1300 in Hamburg und anderen Städten der Region nachweisbaren Patrizierfamilien de Hachede. War seine Familie also erneut ausgewandert? Als „von Hacht“ lebt der Familienname jedenfalls bis heute auch in Geesthacht weiter.